Vom „Spiegel“ lernen: Die wichtigste Entscheidung im Krisenfall

Eine Cyber-Attacke, ein Brand, ein Compliance-Verstoß: Pannen passieren überall. Ärgerlich genug – und dann rufen auch noch Journalisten an. Wie reagieren? Viele Unternehmen tappen in eine Falle.

„Spiegel“-Reporter gehören bestimmt nicht zu den beliebtesten Anrufern, wenn Unternehmen einen internen Krisenfall haben. Nun befindet sich der „Spiegel“ selbst in einer Krise – und in was für einer. Ein Fälschungsskandal beispiellosen Ausmaßes, ausgerechnet bei dem selbstbewussten Nachrichtenmagazin, das so gerne anderen auf die Finger haut, wenn etwas schief läuft.

Häme ist allerdings nicht angebracht. In jedem noch so gut geführten Unternehmen kann es unvorhergesehene Vorfälle geben, die schlagartig zu einem Medienthema werden: ein Unfall, ein Brand, eine Cyber-Attacke, eine Erpressung, Fehlverhalten von Mitarbeitern oder Zulieferern. Pannen passieren – wichtig ist aber die richtige Reaktion darauf, auch und vor allem in der Kommunikation.

Imageschaden oft schlimmer als der eigentliche Krisenfall

Viele Unternehmensführungen reagieren so: lieber erstmal nichts kommunizieren, komplett schweigen, wegducken, der Presse bloß kein Futter geben. So verständlich dieser Reflex ist – so grundfalsch ist er. Eine Falle, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt.

Auch wenn beim „Spiegel“ viel schief lief (und immer noch läuft), die Krisenkommunikation hat zu Beginn eine wichtige Richtungsentscheidung getroffen: auf Aufklärung und Transparenz zu setzen. Denn eine zu defensive oder zögerliche Medienarbeit kann schnell zu einem Reputationsschaden führen, der die Kosten der eigentlichen Krise bei weitem übersteigt.

Totschweigen, die Krise irgendwie aussitzen – das funktioniert heutzutage nicht mehr. Stattdessen löst eine mauernde Unternehmenskommunikation oft ungewollt folgende Dynamik aus:

1. Intransparenz weckt journalistische Neugierde

Sobald Journalisten Kenntnis von einem Vorfall haben, wenden sie sich an das Unternehmen, um offizielle Informationen zu bekommen. Nicht zuletzt ist das auch ihre Pflicht. Doch was passiert, wenn sie trotz legitimer Nachfrage keine weiteren Informationen bekommen? Eines ist klar: Beharrliches Schweigen, selbst wenn weder ein Dementi noch eine Bestätigung von Unternehmensseite erfolgt, schüttelt die Medien ganz sicher nicht ab – im Gegenteil. Ihr Recherchetrieb ist jetzt geweckt.

2. Abweisung begreifen Redaktionen als Ansporn

Einige Journalisten empfinden eine Abweisung als arrogant oder hinderlich für ihre Arbeit – und können richtig ärgerlich werden. „Wer die Kooperation verweigert, wird selbst mit härteren Bandagen angefasst.“ Nach diesem Motto agieren viele Redakteure. Aber es braucht noch nicht einmal einen impulsiven Charakter auf Medienseite, damit das betroffene Unternehmen kommunikativ in immer wildere Strudel gerät.  

3. Journalisten kontaktieren Mitarbeiter, Kunden, Behörden, Wettbewerber

Wenn ein Unternehmen Informationen verweigert, sich also intransparent gibt, macht es sich verdächtig und löst in jedem Fall einen Reflex bei Redaktionen aus: nun mit besonderem Nachdruck zu recherchieren und auf anderem Wege an Infos zu gelangen. Auch das begreifen gute Journalisten als ihre Pflicht und gehört zu ihrem alltäglichen Handwerkszeug. Je nach Fallhöhe beißen sie sich jetzt regelrecht fest.

  • Sie gehen den Betriebsrat und andere Mitarbeiter an, auch ehemalige: per Telefon, über soziale Medien, direkt vor   Ort. Namen und Kontakte lassen sich spielend leicht im Internet recherchieren. Allein dadurch wirbeln Journalisten unangenehm viel Staub auf, erst recht, wenn noch keine interne Kommunikation erfolgt ist.
  • Um mehr Fleisch an die Geschichte zu bekommen, kontaktieren Journalisten  außerdem Kunden, Zulieferer, einfach jeden, der potenziell mit dem Unternehmen in Verbindung steht – besonders fatal, wenn zu diesem Zeitpunkt zum Beispiel die Kunden noch nicht offiziell informiert sind.
  • Die Medien fragen sogar Politiker an, ebenso Behörden oder (vermeintliche) Experten, unter Umständen auch Konkurrenzunternehmen. Sie alle positionieren sich gerne in der Presse – und die Journalisten bekommen prominente Stimmen, die der Berichterstattung mehr Aufmerksamkeit bringen.

4. Die Medien setzen die Berichterstattung fort

Wenn Politiker A etwas sagt, will sich am Folgetag auch Politiker B äußern. Und andere Medien steigen in die Berichterstattung mit ein. Jedes Zitat, jeder Informationskrümel, selbst Spekulationen oder anonyme Kommentare im Netz können Ausgangspunkt für die nächste Recherche und Anlass für weitere Berichte sein – „Weiterdrehe“ nennen das Redaktionen.

Doch die Unternehmenskommunikation hat sich bereits zu Beginn der Chance beraubt, die Veröffentlichung von Falschinfos zu verhindern, angemessene Einordnungen vorzunehmen, die Recherche-Richtung der Medien zu beeinflussen.

5. Informationsblockade spielt Journalisten in die Hände

Manch Journalist, vor allem bei Boulevardmedien, ist gar nicht mal undankbar über eine Informationsblockade von Unternehmensseite. So können auch reißerische Zuspitzungen in die Berichte gelangen – ohne dass die Unternehmenskommunikation sie „kaputt“ macht. „Das Unternehmen wollte sich dazu nicht äußern“, heißt es dann; der Leser interpretiert das häufig als verkapptes Schuldeingeständnis.

Spätere Schadensbegrenzung kaum noch möglich

Ein späteres Eingreifen der Unternehmenskommunikation kann den Schaden kaum noch begrenzen. Ist es zu unfairer oder gar falscher Berichterstattung gekommen, sind viele Redakteure und ihre Vorgesetzten für Beschwerden im Nachgang wenig empfänglich: Sie werden den Spieß umdrehen und auf die anfangs mangelhafte Kooperation verweisen. Unterlassungserklärungen oder Richtigstellungen können ein ultimatives Mittel sein. Allerdings: Sie haben oft nur begrenzte Wirkung auf die Leser, dafür zerstören sie jedoch auf Jahre das Verhältnis zur Presse.

Dieses Kommunikationsdesaster verhindert die richtige Weichenstellung zu Beginn. Natürlich soll nicht sofort jedes interne Detail in die Welt geplärrt werden. Aber eine behutsame, gezielt eingesetzte Krisenkommunikation kann selbst in den dunkelsten Stunden eines Unternehmens Wunder bewirken.

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