Ende Mai war es wieder so weit: Die re:publica öffnete ihre Pforten in Berlin für Spotlights auf die digitale Gesellschaft. Drei Tage voller Keynotes, Sessions, Panels und Vorträgen zu Netzkultur, Politik und Trends in Medien und dem öffentlichen Diskurs. Unsere Kollegin Alexandra Krohn war vor Ort und berichtet.
Unter dem Motto „Who cares?“ sind in diesem Jahr alle Beiträge auf der re:publica subsumiert. Zweimal hingeschaut, birgt dieser Slogan eine Doppeldeutigkeit: Gemeint ist sowohl „Wer kümmert sich…?“ als auch „Wen kümmert es?“. Und der Name ist Programm: Ich bin umgeben von Teilnehmer:innen und Speaker:innen der Gen Y und Gen Z, die sich ernsthaft mit den Themen auseinanderzusetzen scheinen. Eine Aura von Wokeness durchflutet die Hallen und im Vergleich zu meinem letzten Besuch der re:publica vor fünf Jahren stelle ich fest: Der Versuch, die verkrusteten, bestehenden Strukturen gesellschaftlicher Ungleichheit aufzubrechen und zu transformieren, ist geblieben – und er ist lauter und deutlicher geworden.
Darum geht es auf der re:publica
Diskutiert, erörtert und gemeinsam erarbeitet werden Themen und Entwicklungen, die, ganz banal gesagt, im digitalen Raum stattfinden. Neben Facebook und Fake News geht es um die mediale Berichterstattung von Krise und Klima. Podcaster und KI-Programmierer:innen treffen auf Politiker:innen. Redakteur:innen und Rechtsexpert:innen zeigen die Gefahren der Ausgrenzung im Netz auf. Wetterexpert:innen diskutieren mit Wissenschaftler:innen über die Berichterstattung der Klimakrise. Kurzum: Eine enorme Vielfalt an Themen, die sich nicht so einfach herunterbrechen lässt. Meine persönlichen Highlights daher im Folgenden.
Auslandsberichterstattung im ZDF bzw. „Gibt’s denn nur noch Krisen auf der Welt?“
Seit der ersten Sendung des auslandsjournals im Jahr 1974 hat sich viel getan: Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk passt seine Formate einer sich immer schneller wandelnden Gesellschaft an und entwickelt sich weiter. Neben den klassischen TV-Formaten ist das Angebot vielfältiger geworden und damit auch die Art der Berichterstattung: Podcasts, Mediathek, Social Media, funk (das ZDF-Angebot für junge Leute) und noch vieles mehr.
Einmal im Monat sprechen beispielsweise die Journalistinnen und Kriegsreporterinnen Katrin Eigendorf, Golineh Atai und Jagoda Marinić im Podcast „Brave New World“ über ihre Sicht auf die Krisen und Konflikte unserer Zeit und wollen so dem sogenannten Doom Scrolling, also dem exzessiven Konsum negativer Nachrichten im Internet, ein Ende setzen. Indem sie Konflikte besser erklären und näherbringen, das persönlich Erlebte in den Vordergrund stellen, und auch das Gute im Schlechten nicht unerwähnt lassen, setzen sie neue Akzente in einer immer düsterer werdenden Auslandsberichterstattung.
Antidiskriminierung im Bund hat einen Namen - Ferda Ataman
Einen spannenden Auftritt legte auch Ferda Ataman hin. Sie stellte sich vor als die von Claudia Roth berentete „Queen of Woke-istan, 45 und in den Wechseljahren“, und sprach über ihre Aufgabe als Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung und Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Dabei beschäftigt sie sich unter anderem mit Diskriminierung im Netz, denn durch sogenanntes automated decision-making (ADM) werden online die unterschiedlichsten Gruppen strukturell benachteiligt. Bei der computergestützten Entscheidungsfindung werden Daten, Maschinen und Algorithmen verwendet, um Entscheidungen in verschiedenen Bereichen zu treffen, zum Beispiel in der öffentlichen Verwaltung, in der Wirtschaft, im Gesundheitswesen, im Bildungswesen, im Rechtswesen und in der Arbeitswelt.
Ataman stellt fest: „Während die Digitalisierung uns viele Annehmlichkeiten bringt, hat sie auch eine dunkle Seite: Maschinen können gesellschaftliche Ungerechtigkeiten verfestigen und verschlimmern. (...) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet zwar Diskriminierung im Alltag. Was aber, wenn die Diskriminierung vom Computer ausgeht?“ Beispielsweise, wenn man einen Kredit braucht, aber eine Absage erhält, weil ein Algorithmus der Bank entschieden hat, dass die Person zu alt ist. Oder wenn man keinen Besichtigungstermin für die dringend benötigte Wohnung bekommt, weil der Nachname einfach nicht deutsch genug ist.
Bürger:innen können sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden, wenn sie einen Fall solch einer institutionalisierten, digitalen Ausgrenzung erleben.
Hass im Netz eingrenzen und den demokratischen Diskurs stärken
In einer Live-Demo stellten Sabrina Scharpen, Stefanie Jellen und Christina Eickhorn ihren Forschungs- und Entwicklungsstand von Plattformen im Netz für einen hassfreien und konstruktiven Austausch vor. Das internationale Forschungsprojekt „Public Spaces Incubator“ soll innovative Bausteine für offene und respektvoll geführte Online-Diskussionen entwickeln und testen.
Ein Prototyp der Initiative „Public Spaces Incubator" ist der Comments Slider. Mit diesem können sich Nutzer:innen über einen verschiebbaren Regler auf einem Meinungsspektrum zu einer bestimmten Frage positionieren, was differenziertere Antworten als einfache Ja/Nein-Optionen ermöglicht. So werden Gemeinsamkeiten trotz unterschiedlicher Meinungen sichtbar.
Ein weiterer Prototyp bezieht die gesellschaftliche Rolle von Nutzer:innen mit ein und heißt Representing Perspectives. Dieser Prototyp veranschaulicht in einem Gesprächsraum, welche Rolle Nutzer:innen beim Kommentieren einnehmen. So wird die Vielfalt unterschiedlicher Perspektiven deutlich, und Redaktionen können unterrepräsentierte Standpunkte gezielt hervorheben.
Ab 2025 sollen diese Bausteine eingesetzt werden.
Fazit: Das „Festival für die digitale Gesellschaft“ bleibt relevant
Bei einem Eintrittspreis von 299 Euro für ein reguläres Ticket hat sich, kritisch gesehen, sicher eine eigene re:publica-Blase gebildet. Nicht jedes Medienunternehmen kann es sich leisten, Mitarbeiter:innen zu diesem Preis auf die Konferenz zu schicken. Dennoch: Mit 30.000 Besucher:innen war die re:publica dieses Jahr zum ersten Mal ausverkauft. Und das beweist, die Leute interessieren sich, oder um das Veranstaltungs-Motto aufzugreifen: „We care!“
Weitere Einblicke zu den Sessions der re:publica 2024 gibt es auf YouTube.
Ihr plant die re:publica oder eine andere Konferenz zu besuchen?
Hier meine drei Tipps, wie ihr am meisten aus der Konferenz herausholt:
1. Plan ahead: Vorbereitung ist alles
Setzt euch einen Schwerpunkt und stellt euch euer eigenes Veranstaltungsprogramm zusammen. Bei 880 Sessions lohnt sich das vorherige Sortieren, damit ihr vor Ort der Überflutung entgeht.
2. Stay connected: Alle Devices vorher aufladen
Ohne Smartphone(s), Laptop und Kopfhörer geht hier nichts. Daher unbedingt daran denken, alle benötigten Devices frisch aufzuladen und alle wichtigen Ladekabel mit im Gepäck zu haben.
3. Take part: Mitmachen, statt nur zugucken
Nutzt die Gelegenheit, mitzumachen und in den Austausch zu gehen, wo ihr könnt. Gelegenheit dafür bieten die meisten Sessions.
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